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An dieser Stelle finden Sie (chronologisch geordnet) Beiträge zu Veranstaltungen und Nachrichten.
Ergebnisse des Fachtages “Sensibilität und Toleranz“ vom 07.05. 2025 (Dokumentation)
Mitarbeitende von vielen psychosozialen/psychiatrischen Einrichtungen, der Eingliederungs-, Jugend- , Obdachlosen-, Alten-Hilfe, der Suchthilfe und der Jugendhilfe sowie der beruflichen Reha und engagierte Erfahrene und Angehörige waren herzlich zum 25. Geburtstag von “Irre menschlich Hamburg e.V.“ eingeladen, um Antistigma-Arbeit und das Bemühen um Stigma-Resistenz zum Thema zu machen. Ziel war es, wechselseitig Bewährtes weiterzugeben und über Neues gemeinsam nachdenken. Besonders wurde die Dringlichkeit der alltäglichen Antistigma-Arbeit reflektiert.
© Stefan Kock/Irre menschlich Hamburg e.V.
Antistigma-Arbeit und Stigma-Resistenz
Sensibilität und Toleranz sind mehr denn je gefragt und wir haben die Möglichkeit, sie aktiv zu stärken. Mit dem Fachtag, den “Irre menschlich Hamburg e.V.“ in Kooperation mit vielen Partnern realisiert hat, konnte das deutlich sichtbar gemacht werden. Die Vielfalt zu bewahren, stärkt uns alle. Deshalb ist es eine gemeinsame Aufgabe, Stigmatisierung als Herausforderung in der alltäglichen Arbeit zu begegnen und Sensibilität und Toleranz zu schützen.
Staatsrat für Gesundheit Tim Angerer, Sozialbehörde (SB) neben Monika Püschl (SB) © Stefan Kock/Irre menschlich Hamburg e.V.
Rückblick auf den Fachtag “Sensibilität und Toleranz“: Ein Beitrag vom Thomas Bock, “Irre menschlich Hamburg e.V.“
Die Veranstaltung am 7. Mai 2025 wurde von Sozialbehörde (SB) und Patriotischer Gesellschaft von 1765 (PG) unterstützt und fand in deren ehrwürdigen Räumen statt. Sie diente der Bestandsaufnahme und Weiterentwicklung der Antistigma-Arbeit in Hamburg. Anlass war auch unser 25. Jubiläum. Eingeladen waren Erfahrene, Angehörige und Profis (Trialog) aus dem Kontext von Sozialpsychiatrie und Eingliederungshilfe sowie aus der Jugendhilfe und migrations-spezifischen Institutionen.
Für die Moderation konnte Burkhard Plemper gewonnen werden: →Link zum Video mit Burkhard Plemper und Hella Schwemer-Martienßen auf Lecture2Go
Burkhard Plemper neben Claudia Wetterhahn (oben), Thomas Bock und Venja Kampen (SB; unten) © Stefan Kock/Irre menschlich Hamburg e.V.
Die Veranstaltung wurde von Frau Hella Schwemer-Martienßen (PG; → Link zum Video mit Burkhard Plemper und Hella Schwemer-Martienßen auf Lecture2Go) und Herrn Staatsrat für Gesundheit Tim Angerer (SB) begrüßt und gewürdigt: → Link zum Video mit Staatsrat Tim Angerer auf Lecture2Go
© Stefan Kock/Irre menschlich Hamburg e.V.
Ein eigener, gemeinsamer Beitrag von Irre menschlich Hamburg e.V. vermittelte die schrittweise Entwicklung unseres vielfältigen Angebots: → Link zum Video von Irre menschlich Hamburg e.V. auf Lecture2Go
v. l. n. r.: Thomas Bock, Rabea Fischer, Claudia Wetterhahn, Robert Dorner und Simon Schultheiss © Stefan Kock/Irre menschlich Hamburg e.V.
Prof. Dr. Georg Schomerus zeigte den Stand der Antistigma-Arbeit: Fortschritte bei manchen Diagnosen (Depression, Burn-out) und Rückschritte bei anderen (Psychose, Manie) vermutlich mitbedingt durch eine immer weitergehende Gleichsetzung von Lebenskrisen und psychischer Erkrankung, die mindestens zwiespältig zu bewerten sei. Wenn andere soziale, familiäre, kulturelle, religiöse Hilfen wegfallen oder zumindest weniger präsent sind, dann gehe diese Konzentration auf Psychiatrie zulasten der ernsthaft psychisch Erkrankten, weil Ressourcen fehlen und weil sie aus dem immer allgemeineren Verständnis psychischer Erkrankung herausfallen: → Link zum Video mit Prof. Dr. Georg Schomerus auf Lecture2Go
© Stefan Kock/Irre menschlich Hamburg e.V.
Der Vortrag von Dr. Anne Kaman (UKE) reflektierte die aktuelle psychische Belastung junger Menschen, die diese sehr deutlich mit den Krisen/Kriegen der Welt in Verbindung bringen: → Link zum Video mit Dr. Anne Kaman und Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz auf Lecture2Go
Beim Vortrag von Prof. Andreas Heinz ging es um das Risiko doppelter Stigmatisierung von Menschen mit Migrationshintergrund und psychischer Erkrankung und dabei auch um die historischen Wurzeln der doppelten Diskriminierung: → Link zum Video mit Dr. Anne Kaman und Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz auf Lecture2Go
Ein musikalischer Beitrag von Thilo Bock und “Kraus“ begeisterte viele und warb für das jährliche Seelenbrand-Festival (das nächste am 5. September 2025, ab 18 Uhr, in der Fabrik):
© Stefan Kock/Irre menschlich Hamburg e.V.
Von allen Plenumsveranstaltungen gibt es eine übersichtliche Filmdokumentation; die Ergebnisse der Workshops und die daraus erwachsenen Aufträge sind hier hinterlegt.
Die Workshops hatten klare Themen und Ziele:
- WS 1 bilanzierte die Trialog-Foren in Hamburg und warb um mehr Transparenz und gegenseitige Hilfe. Die Trialog-Foren wollen sich auch weiter vernetzen und um weitere Nachfolge werben – zu anderen Themen und mit regionaler Verankerung. Die Sozialbehörde wird auf ihrer Website mehr Transparenz herstellen und damit neue Initiativen unterstützen.
- WS 2 reflektierte die ganzjährig laufenden Projekte, um weitere Ideen und Kooperationen zu fördern. Es gab mehrere konkrete Aufträge und neue Kooperationsangebote.
- WS 3 hatte dasselbe Ziel, aber bezogen auf Veranstaltungen in der jährlichen Woche der psychischen Gesundheit. Die AG für Partizipative und Kollaborative Forschung am UKE wird neue Ideen fördern und evaluieren. “Irre menschlich Hamburg e.V.“ wird sich langfristig engagieren und die Koordination der Hamburger Aktivitäten nachhaltig unterstützen.
- WS 4 diskutierte die politischen Implikationen des Vortrags und die Notwendigkeit der Förderung von Stigma-Resistenz bei jungen Menschen mit eigener oder familiärer Psychiatrie-Erfahrung (neues Angebot der “Zu sich stehen“-Workshops). Auch das Thema Obdachlosigkeit bei jungen Menschen in und mit psychischen Krisen wurde diskutiert.
- WS 5 In WS 5 ging es um migrationsspezifische Hilfen, den Sinn der Unterscheidung von Flucht und Migration sowie die Notwendigkeit, auch unsere eigenen Angebote kultursensibel zu gestalten.
Und zum Ende gab es auch noch diese Geburtstagstorte, welche uns von Monika Püschl aus der Sozialbehörde überreicht wurde:
© Stefan Kock/Irre menschlich Hamburg e.V.
Die Vorbereitungsgruppe bestand aus Claudia Wetterhahn, Robert Dorner und Thomas Bock von “Irre menschlich Hamburg e.V.“ sowie Venja Kampen und Britta Trapp von der Sozialbehörde.
Materialien wie Fotos und Film-Mitschnitte der Vorträge finden sich hier auf der Website sowie auf der Website der Stadt Hamburg.
Thomas Bock, 15.06.2025
Videomitschnitte und die vollständige Dokumentation des Fachtages
Die Videomitschnitte finden Sie in dem Portal Lecture2Go der Universität Hamburg: → Link zu allen Videos des Fachtages auf Lectur2Go.
Die gesamte Dokumentation zum Fachtag finden Sie hier.
Zusammenfassung der Ergebnisse aus den fünf Workshops: → Link zum Video mit den Impulsen aus den 5 Arbeitsgruppen – Wie geht es weiter? auf Lecture2Go
- Stärkere Vernetzung der Hamburger Trialog-Foren
- Bildung neuer Trialog-Foren in Hamburg, z. B. Jugend-Trialog, ADHS-Trialog, FASD-Trialog1
- Erstellung einer neuen Website auf hamburg.de, auf der die Hamburger Trialog-Foren und die anstehenden Termine zu finden sind
- Durchführung trialogischer Fortbildungen für weitere Berufsgruppen, zum Beispiel Bewährungshilfe
- eine nächste trialogische Lehrerfortbildung zum Thema Sprache/Sprachlosigkeit gegenüber betroffenen Schüler:innen – über das Unterrichtsthema “Psychische Gesundheit“ hinaus
- Bildung weiterer Gruppen zur Förderung der Stigma-Resistenz bei jungen Menschen
(“Zu sich stehen“-Workshops)
Die ausführlichen Ergebnisberichte finden Sie hier:
1 Fetale Alkoholspektrumstörung (Fetal Alcohol Spectrum Disorder)
Fachtag “Sensibilität und Toleranz“ Ergebnisse Befragung der Teilnehmenden
Zur Zufriedenheit mit Organisation, Tagungsort, Verpflegung, Plenums-Moderation, Programm und Workshop-Inhalten gab es ausschließlich positive Rückmeldungen.
Besonders gewürdigt wurden
- das “Plenum am Ende“ als Überblicksgewinn,
- der “Künstler, (der) alle Sinne“ ansprach,
- vor allem der Vortrag von Prof. Dr. Georg Schomerus, der “neue relevante Studienergebnisse und Bezug zum Fachtag“ brachte sowie auch
- die von Dr. Anne Kamann präsentierte COPSY-Studie.
Einzelne Teilnehmende empfanden die Tagungsdauer als zu kurz, alle anderen jedoch als genau richtig.
Als Anregung aus den Workshops wurde ein “Konzept für Interessenten zum Aufbau eines Trialoges“ gewünscht.
Nahezu alle Rückmeldenden beantworteten die Frage nach Erkenntniszugewinn und neuen Erfahrungen mit “Ja“!
Als Vorschläge und Anregungen finden sich mehrfach Äußerungen wie “gern mehr von solchen Formaten: sektorenübergreifender Austausch mit guten Inputs sind wichtig“ und “Gerne regelmäßige Fachtage mit unterschiedlichen Schwerpunkten“.
Testimonal einer teilnehmenden Person:
“Die Expertinnen aus Erfahrung als Betroffene und Angehörige beeindruckten mich besonders. Der erlebte Empowermentprozess wurde spürbar. Das Engagement in Irre menschlich-Projekten hat offensichtlich starken Einfluss auf die Genesungswege. Die Peers präsentierten sich als selbstsicher und kompetente Persönlichkeiten, was ermutigend und hoffnungsstiftend wirkt.“
Häufig gestellte Fragen und Antworten (FAQ)
Was sind Trialog-Foren?
Trialog-Foren dienen dem Austausch und der wechselseitigen Fortbildung von Krisen-Erfahrenen, Angehörigen und Profis. Ziel ist, eine gemeinsame Sprache zu finden und Dialogfähigkeit zu üben. Es geht um ein besseres Verständnis von dem, was das jeweilige Thema bedeutet und was die verschiedenen Beteiligten an Hilfe brauchen. Die Foren mögen auch persönlich hilfreich sein, haben aber in erster Linie nicht therapeutischen, sondern informativen Charakter.
Was sind trialogische Fortbildungen?
Trialogische Fortbildungen sind gemeinsam und gleichberechtigt von Krisen-Erfahrenen, Angehörigen und Profis durchgeführte Fortbildungen für unterschiedlichste Zielgruppen.
Was sind “Zu sich stehen“-Workshops?
In den kostenlosen Workshops “Zu sich stehen“ für 14 bis 25-Jährige geht es in 5 mal 2 Stunden darum, wie man in schwierigen Zeiten zu sich stehen, wie und mit wem man über seine Erfahrungen sprechen möchte und darum, Worte dafür zu finden. Angeboten werden die Workshops von irre menschlich Hamburg e.V.
Aktionswoche psychische Gesundheit vom 10. bis 20. Oktober 2025
Machen Sie mit bei der Aktionswoche seelische Gesundheit vom 10. bis 20. Oktober 2025 unter dem Motto “Lass Zuversicht wachsen – Psychisch stark in die Zukunft“:
- Call to action! Ihre Veranstaltung als Teil der Aktionswoche der seelischen Gesundheit (Bitte beachten Sie den darin enthaltenen Fragebogen zu Ihren Plänen und Unterstützungsbedarfen)
- https://www.irremenschlich.de/alle-veranstaltungen/anthropologische-psychiatrie/category/27:woche-der-psychischen-gesundheit
Weiterführende Informationen, Termine und Downloads
- irremenschlich.de/alle-veranstaltungen
- https://www.irremenschlich.de/alle-veranstaltungen/anthropologische-psychiatrie/category/27:woche-der-psychischen-gesundheit
- Seelenbrand Festival 5. September 2025
- Einladung zum Fachtag Partizipation am 25. September 2025
- Aktionswoche seelische Gesundheit - Call to action! Ihre Veranstaltung als Teil der Aktionswoche der seelischen Gesundheit (Bitte beachten Sie den darin enthaltenen Fragebogen zu Ihren Plänen und Unterstützungsbedarfen)
Menschliche Tragödie und politische Fragen – Zur Messerattacke am Hamburger Hauptbahnhof
taz-Interview mit Prof. Dr. Thomas Bock vom 30.05.2025:
Psychologe über Hamburger Messerangriff
“Der Vorfall war nicht vorhersagbar“
Die Verdächtige der Messerattacke wurde kurz zuvor aus der Klinik entlassen – in die Obdachlosigkeit. Kein Einzelfall, meint Psychologe Thomas Bock.
taz: Herr Bock, am vergangenen Freitag gab es am Hamburger Bahnhof einen Messerangriff. Die mutmaßliche Täterin, eine 39-jährige Frau, soll wahllos auf Wartende eingestochen haben. 18 Menschen wurden verletzt, manche lebensgefährlich. Hätte die Tat verhindert werden können?
Thomas Bock: Das kann niemand sicher beantworten. Was da passiert ist, war ein in jeder Hinsicht ungewöhnlicher Vorgang. Als Täterin passt die Frau nicht in bekannte Muster und Stereotype. Es gab kein politisches Motiv, keinen Migrationshintergrund, keine Horde alkoholisierter junger Männer und keinen Drogenkonsum. Sicher ist für den mir vertrauten Bereich psychischer Erkrankungen: Wer so unvermittelt gefährlich wird, muss sich enorm bedroht fühlen.
taz: Was ist über die mutmaßliche Täterin bekannt?
Bock: In den Medien heißt es, sie sei “im psychischen Ausnahmezustand“ gewesen, wohl mehrfach in psychiatrischer Behandlung, zuletzt in einer niedersächsischen Klinik. Es wird die Diagnose einer schizophrenen Psychose genannt. Erst einen Tag vor der Tat war sie entlassen worden, in die Obdachlosigkeit. Eine menschliche Tragödie, die viele Fragen aufwirft, zunächst diese: Warum wird eine offenbar Psychose-erfahrene Frau so “ins Nichts“ entlassen?
taz: Ja, warum?
Bock: Laut Klinik habe es keine medizinischen Gründe gegeben, sie zu behalten. Aber was ist mit sozialen Gründen? Was ist mit der Fürsorgepflicht? Wir sollten uns fragen, ob Obdachlosigkeit im psychischen Ausnahmezustand wirklich freie Wahl sein kann.
taz: Wer wäre denn verantwortlich?
Bock: Dieses Problem ist jedenfalls nicht allein den Kliniken anzulasten. Die dramatische Zunahme obdachloser, psychisch erkrankter Menschen spiegelt ein gesellschaftliches Problem und ein politisches Versagen. In manchen Berliner Kliniken werden bis zu 50 Prozent der Patient:innen in die Obdachlosigkeit entlassen. Oft fehlt die verbindliche Übernahme gemeinsamer Verantwortung. Betreute Wohneinrichtungen veranlassen Einweisungen in die Psychiatrie, nehmen ihre Bewohner:innen aber nicht zuverlässig zurück. Psychiatrische Akutstationen quellen über, finden keinen Ort, wohin die zu Entlassenen gehen können. Vor allem aber fehlt Wohnraum.
taz: Was bedeutet die Diagnose “Psychose“ überhaupt?
Bock: Das heißt, sozusagen durchlässig zu werden, zumindest vorübergehend. Das ist, als würde die eigene Haut nicht mehr schützen. Innen und außen lassen sich nicht mehr richtig trennen, innere Dialoge können zu fremden Stimmen werden, äußere Ereignisse filterlos eindringen.
taz: Was heißt das, in so einem Zustand wohnungslos zu sein?
Bock: Die eigene Wohnung, das eigene Zimmer, unser Zuhause, das ist unsere zweite Haut, unser Schutzraum. Obdachlos zu sein, heißt, all das nicht mehr zu haben. Den Blicken aller ausgesetzt zu sein, sich nicht mehr abgrenzen zu können. Die Angst wird dann zum ständigen Begleiter, die Paranoia zu Realität.
taz: Sind psychisch erkrankte Wohnungslose also eine Gefahr?
Bock: Der Weg in die Obdachlosigkeit stellt immer eine Gefährdung dar – allerdings zunächst einmal für die Betroffenen selbst. Menschen mit psychischer Erkrankung und erst recht obdachlose Frauen werden sehr viel häufiger Opfer, als Täter – was nicht relativiert, dass diese Frau in ihrer Not schrecklich handelte. Das wirklich seltene, aber statistisch etwas erhöhte Risiko, im psychotischen Zustand gewalttätig zu werden, betrifft weniger Fremde und eher das persönliche Umfeld. Denn ohne das Gefühl eigener Grenzen kann Nähe wie Eindringen wirken.
taz: Was würde helfen?
Bock: Wir brauchen Kliniken, die auch nachgehend und aufsuchend tätig werden, Wohneinrichtungen mit regionaler Verpflichtung und deren verbindliche Kooperation. Dazu eine enge Kooperation mit der Wohnungslosenhilfe mit einem großzügigen “Housing First“-Programm,Dazu eine enge Kooperation mit der Wohnungslosenhilfe mit einem großzügigen Housing-First-Programm, also schützender Wohnraum als erste Priorität.
taz: Ist das mit den vorhandenen Ressourcen überhaupt möglich?
Bock: Wir leisten uns in Deutschland ein Hilfesystem, das auf der einen Seite zu niedrigschwellig ist. Wenn jede seelische Not gleich zur Erkrankung erklärt wird, um überhaupt Hilfe zu bekommen, gerät es unter Druck. Gleichzeitig ist es für diejenigen, die am dringendsten Hilfe benötigen, zu hochschwellig: Wir schaffen es nicht, mit einer kontinuierlichen Beziehungskultur Menschen in größter Not Halt zu geben – und schon gar nicht, Grundrechte wie Wohnen zu sichern.
taz: Im Januar, nachdem ein psychisch Kranker in Aschaffenburg ein Kleinkind und einen Erwachsenen getötet hatte, forderte die Innenministerkonferenz den Schutz von Patient:innendaten bei psychischer Erkrankung aufzuweichen. Die Sicherheitsbehörden sollten leichter Zugang zu solchen Informationen bekommen. Hätte das hier geholfen?
Bock: Der Vorfall in Hamburg war so ungewöhnlich, dass ihn keine Statistik hätte vorhersagen können. Würden wir alle psychisch Erkrankten registrieren, wäre fast ein Drittel aller Einwohner in Deutschland betroffen und stigmatisiert. Diejenigen, die Hilfe am dringendsten brauchen, könnte das noch mehr abschrecken, sie aufzusuchen. Informationsaustausch in einem verbindlichen Hilfesystem muss aber möglich sein – im Notfall auch mit den Sicherheitskräften. Aber nicht mit dem Ziel der Ausgrenzung und der Verschiebung von Verantwortung, sondern dem der gemeinsamen Zuständigkeit.
Im Interview: Thomas Bock
ist der Gründer und ehemaliger Leiter der Psychosenambulanz am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. Mit Dorothea Buck entwickelte er die Idee des Trialogs zwischen Betroffenen, Angehörigen und Behandlern.
Den Original-Artikel finden Sie hier.
Einladung zum Fachtag: “Sensibilität und Toleranz“ – Alltagsaufgabe im psychosozialen Bereich und gesellschaftliche Herausforderung am Mittwoch, 07.05.2025
Eine Veranstaltung von “Irre menschlich Hamburg e.V.“ zum 25jährigen Bestehen
in Kooperation mit der Sozialbehörde und der Patriotischen Gesellschaft von 1765
Die Welt-Entwicklung wirkt auch nach innen: Angst und Unsicherheit nehmen zu. Sensibilität und Toleranz sind mehr denn je gefragt. Selbstverständlich waren sie nie, doch wir haben die Möglichkeit, sie aktiv zu stärken. Das Klima verändert sich – auch im Inneren, der Frieden ist fragil – auch der untereinander. Die Angst vor Fremden bedroht auch die, die sich gelegentlich selbst fremd werden. Die Vielfalt zu bewahren stärkt uns alle. Für Fachleute und Politik bleibt es eine gemeinsame Aufgabe, der Stigmatisierung als Herausforderung in der alltäglichen Arbeit zu begegnen und Sensibilität und Toleranz zu schützen.
Ist es noch normal, verschieden zu sein?
Wir laden die Mitarbeiter*innen aller psychosozialen/psychiatrischen Einrichtungen, der Eingliederungs-, Jugend-, Obdachlosen-, Alten-Hilfe und der beruflichen Reha sowie engagierte Erfahrene und Angehörige herzlich zum 25. Geburtstag von “Irre menschlich Hamburg“ ein, um Antistigma-Arbeit und das Bemühen um Stigma-Resistenz zum Thema zu machen. Ziel ist, dass wir wechselseitig Bewährtes weitergeben und über Neues gemeinsam nachdenken. Besonders wollen wir die Dringlichkeit der alltäglichen Antistigma-Arbeit reflektieren.
Was können und müssen wir tun, um die Vielfalt zu wahren?
Wann: Mittwoch, 07. Mai 2025, 09:00–14:30 Uhr
Wo: Patriotischen Gesellschaft von 1765, Trostbrücke 6, Hamburg
Anmeldung: bis zum 22. April 2025
per E-Mail unter
Bitte geben Sie bei Ihrer Anmeldung Name, Institution und die Nummer des Workshops an, an dem Sie teilnehmen möchten.
Die Veranstaltung ist kostenfrei.
Zugang mit Rollstuhl begrenzt möglich (kein E-Rollstuhl, max. Tiefe 118 cm, max. Breite 98 cm)
Vorab: Füllen Sie gerne im Vorfeld einen kurzen Fragebogen aus – Wir möchten Ihre Antworten für eine Bestandsaufnahme der Aktivitäten auf der Tagung und als Basis für die weitere Planung nutzen.
Irre menschlich Hamburg e.V. lebt von vielfacher Unterstützung. Nennen möchten wir insbesondere:
- Hamburgische Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (HGSP)
- Landesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V. Hamburg (LPE)
- Angehörige psychisch erkrankter Menschen e.V., Landesverband Hamburg e.V. (LApK)
- Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE
Datenschutzerklärung:
Mit Ihrer Anmeldung zur Veranstaltung erklären Sie sich damit einverstanden, dass während der Veranstaltung Foto- und Videoaufnahmen gemacht werden. Diese Aufnahmen können für die Öffentlichkeitsarbeit und Dokumentation der Veranstaltung verwendet werden. Wenn Sie nicht auf Foto- oder Videoaufnahmen erscheinen möchten, bitten wir Sie, uns dies vorab oder spätestens zu Beginn der Veranstaltung mitzuteilen.
Des Weiteren willigen Sie ein, dass Ihre personenbezogenen Daten zum Zwecke der Veranstaltungsorganisation und Nachbereitung an “Irre menschlich Hamburg e.V.“ übermittelt werden. Die Daten werden ausschließlich für diesen Zweck verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.
Ablauf
08:30 Uhr Ankommen, Anmeldung, Kaffee/Tee
09:00 Uhr Begrüßung Burkhard Plemper (Moderator) und Hella Schwemer-Martienßen (2. Vorsitzende Patriotische Gesellschaft von 1765)
Grußwort Tim Angerer, Staatsrat, Sozialbehörde
09:20 Uhr Sensibilität und Toleranz – Was macht, was will “Irre menschlich Hamburg e.V.“?
Prof. Dr. Thomas Bock im Gespräch mit Claudia Wetterhahn, Rabea Fischer, Simon Schultheiss und Robert Dorner
09:45 Uhr Stigma psychische Erkrankung in Gesellschaft und Psychiatrie: Wo stehen wir?
Prof. Dr. Georg Schomerus, Psychiatrische Uniklinik Leipzig
10:10 Uhr Diskussion
10:25 Uhr Kaffeepause
10:45 Uhr Zwei Impulsvorträge:
Seelische Not von Kindern und Jugendlichen – Angst um diese Welt: Ergebnisse der COPSY-Studie
Migration und psychische Belastung – Notwendige Hilfen und aktuelle Situation
Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz, Charité Berlin
11:25 Uhr Diskussion
11:45 Uhr Ergebnisse der Vorbefragung: Erfahrungen mit Stigma und Antistigma-Arbeit
Venja Kampen, Robert Dorner
11:55 Uhr Mit Kultur für Toleranz & gegen Vorurteile
Thilo Bock, Kraus (ARINET GmbH, Seelenbrand-Festival, Künstler)
12:20 Uhr Austausch und Stärkung bei einem Imbiss
12:50 Uhr Arbeitsgruppen: Erfahrungen, Perspektiven – Sensibilität und Toleranz leben
(1) Idee des Trialogs – Basis für alle Anstrengungen um Sensibilität und Toleranz:
Austausch der Erfahrungen aus 35 Jahren Psychose-Seminar am UKE und allen anderen Hamburger Trialogforen (Bergedorf, Borderline, Messie, Café Dreiklang). Welchen Bedarf gibt es für weitere Foren?
Moderation: Rabea Fischer
Dokumentation: Marion Ryan
weitere Impulse: Ellen Andresen, Johanna Wessels, Angelika Müller
(2) Praxis von Begegnungsprojekten und trialogischen Fortbildungen:
im ganzjährigen Alltag: in (Berufs-)Schulen und für Lehrerschaft, Jugendhilfe, Polizei, Justizvollzug, Berufsbetreuung, Medizinstudierende, u. v. a. Welche entstigmatisierenden Kernelemente wirken nachhaltig? Sind sie übertragbar für den Umgang mit Betroffenen und Angehörigen? Sehen wir neue Zielgruppen für trialogische Fortbildung, z. B. in Behörden, in Betrieben, in betreuenden Institutionen? Was bilden dazu die Umfrageergebnisse ab?
Moderation: Claudia Wetterhahn
Dokumentation: Dr. Anja Dessauvagie
weitere Impulse: Gwen Schulz (Antistigma-Module), Nina Kamp (Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg), Kirsten Wacker (Sozialpädagogisches Fortbildungszentrum Hamburg - SPFZ), Ute Becker
(3) Diskussion von bisherigen und zukünftigen Antistigma-Projekten:
mit Schwerpunkt auf der Woche der Psychischen Gesundheit. Reflexion der Umfrage-Ergebnisse, neue Ideen und Kooperationen, Verbesserung der wechselseitigen Unterstützung.
Moderation: Dr. Candelaria Mahlke
Dokumentation: Georg Knigge
weitere Impulse: Robert Dorner, Imke Heuer, Jan-Christian Wendt-Ahlenstorf (“Op de Wisch“)
(4) Seelische Not junger Menschen in einer Welt mit multiplen Herausforderungen:
Folgerungen aus der COPSY-Studie, Erfahrungen mit “Zu-sich-stehen“-Gruppen für junge Menschen mit persönlicher/familiärer Psychiatrieerfahrung, positive und negative Internet-Erfahrungen. Wie etablieren wir weitere Projekte zur Förderung der Stigma-Resilienz?
Moderation: Prof. Dr. Thomas Bock
Dokumentation: Regina Linsig
weitere Impulse: Simon Schultheiss, Ann-Kathrin Napp/Dr. Charlotte Köttgen, Dr. Kathrin Schümann Riquelme
(5) Stigma Migration – Wie kommen wir da raus?
Weitere Diskussion des Vortrags und Reflexion der Hamburger Gegebenheiten inkl. der Erfahrungen mit Peer-Support? Wie können wir der doppelten Stigmatisierung entgegenwirken? Welche transkulturellen Projekte existieren – auf welchem Weg können wir dieses Angebot erweitern?
Moderation: Dr. Sabine Schütze
Dokumentation: NN
weitere Impulse: Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz, Julia Fischer-Ortmann (Centra), Tabasam Saidzada (Migration-Peer-Projekt), Dr. Horacio Riquelme, Dr. Areej Zindler (UKE-Flüchtlingsambualnz für Kinder)
Weitere Funktionen und Aufgaben bei “Irre menschlich Hamburg e.V. (IM) bitte der Liste unten entnehmen.
14:00 Uhr Impulse aus den 5 Arbeitsgruppen: Wie geht´s weiter?
- 14:30 Uhr Ausklang bei Keksen und Kaffee
Am Fachtag aktiv Beteiligte:
Andresen, Ellen Messie-Trialog
Angerer, Tim Staatsrat für Gesundheit und Arbeit, Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (Sozialbehörde)
Becker, Ute Vorstand “Irre menschlich Hamburg e.V.“ (IM),Café Dreiklang Berufsschulprojekte
Bock, Thilo Geschäftsführer bei ARINET GmbH (Arbeits-Integrations-Netzwerk), Begründer des Seelenbrand-Festivals, Künstler
Bock, Prof. Dr. Thomas Vorstand IM, UKE, Mitbegründer des Trialogs, Autor, Vorlesungs-Dialoge “Bock auf Dialog“
Dessauvagie, Dr. Anja Sozialbehörde, Organisation
Dorner, Robert IM, UKE, verantwortlich für die Organisation verschiedener Antistigma-Projekte, u. a. trialogische Fortbildung Polizei, Antistigma-Modul Pflege, Woche der psychischen Gesundheit
Fischer, Rabea IM, UKE, Psychologin, Moderatorin Psychose-Seminar, Begegnungsprojekte zusammen mit der Patriotischen Gesellschaft von 1765
Fischer-Ortmann, Julia Psychologin Centra (Koordinierendes Zentrum für traumatisierte Geflüchtete)
Heinz, Prof. Dr. Dr. Andreas Ärztlicher Direktor Psychiatrische Uniklinik der Charité Berlin, Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung
Heuer, Imke IM, UKE, Ex-In Ausbildung, Erfahrung in partizipativer Forschung
Kampen, Venja Sozialbehörde, inhaltliche Planung Fachtag, Umfrage
Kamann, Dr. Anne UKE, Wissenschaftlerin in der COPSY-Studie zur psych. Situation junger Menschen
Kamp, Nina Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg, Schulprojekte, trialogische Fortbildungen
Knigge, Georg IM, UKE, Psychologe, Antistigma-Modul Medizinstudierende, Evaluation Woche der psychischen Gesundheit (Projekt MASE)
Köttgern, Dr. Charlotte ehem. Leiterin Psychiatrischer Dienst Amt für Jugend
Kock, Stefan IM, Fotograf
Kraus Punk-Chansonnier, unter anderem auf dem Seelenbrand-Festival
Linsig, Regina Vorstand IM, Lehrerin, Angehörige, trialog. Fortbildungen, Berufsschulprojekte
Mahlke, Dr. Candelaria IM, UKE, div. Forschungsprojekte zur Evaluation von Antistigmaarbeit, u. a; Evaluation Woche der psychischen Gesundheit (Projekte MASE)
Müller, Angelika IM, Op de Wisch, Café Dreiklang
Napp, Ann-Kathrin UKE, Wissenschaftliche Mitarbeiterin COPSY-Studie
Plemper, Burkard Journalist, Moderator, Filmemacher
Püschl, Monika Sozialbehörde, inhaltliche Planung Fachtag
Ryan, Marion IM, Angehörigen-Peerbegleiterin, Moderation Psychose-Seminar, trialogische Fortbildungen
Saidzada, Tabasam Projekt Peer-Begleitung für Geflüchtete
Schomerus, Prof. Dr. Georg Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Leipzig, Mitglied Sektion Stigma im Weltverband für Psychiatrie
Schümann-Riquelme, PD Dr. Horacio IM, UKE, Studien zu ethischen und transkulturellen Fragen
Schümann-Riquelme, Dr. Kathrin IM, Kinder- und Jugendpsychiaterin
Schütze, Dr. Sabine IM, ehem. Oberärztin Berlin-Neukölln, Open Dialogue-Bewegung
Schultheiss, Simon IM, Soz.-Päd.-Student, Moderator “Zu sich stehen“-Gruppen zu Stigma-Resilienz
Schulz, Gwen IM, UKE, Genesungsbegleiterin: Antistigma-Modul Medizin und Pflege, trialogische Fortbildungen
Schwemer-Martienßen, Hella 2. Vorsitzende der Patriotische Gesellschaft von 1765, ehem. Bibliotheksdirektorin der Hamburger Bücherhallen
Vlahovic, Vladimier Justizvollzugsschule Hamburg, trialogische Fortbildungen
Wacker, Kirsten Sozialpädagogisches Fortbildungszentrum Hamburg (SPFZ), trialogische Fortbildungen
Wendt-Ahlenstorf, Jan-Christian “Op de Wisch“, kulturelle Antistigmaprojekte, Woche der Seelischen Gesundheit
Wessels, Johanna Messie-Trialog
Wetterhahn, Claudia Vorstand IM, ehem. Beratungslehrerin, Angehörige, Projekt “Arbeit und Psyche“ für Berufsschulen u. a.
Zindler, Dr. Areej UKE, Ärztliche Leiterin der Flüchtlingsambulanz
IM = Irre menschlich Hamburg e.V.
UKE = Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
noch einmal Bock auf Dialog? – Anthropologische Psychiatrie online
Vorlesungsreihe Anthropologische Psychiatrie Thomas Bock
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„Am Anfang war die Beleidigung.“